Next Day Delivery wird Notwendigkeit im E-Commerce
Amazon hat den Standard der Belieferung innerhalb von 24h beim Kunden etabliert. Onlinehändler müssen große Herausforderungen in der Logistik bewältigen, um diese Erwartungshaltung zu befriedigen.

Der E-Commerce-Markt in Deutschland ist stark umkämpft. Laut der Verbraucherstudie des E-Commerce-Verbandes bevh. belief sich der Umsatz in 2019 auf 72,6 Milliarden Euro und stieg damit gegenüber dem Vorjahr um elf Prozent. Nach einem Einbruch im 1. Quartal 2020 durch Corona ist der E-Commerce gemäß bevh. im 2. Quartal überdurchschnittlich gewachsen. Er ist damit im gesamten 1. Halbjahr 2020 wieder zum gewohnten Wachstum zurückgekehrt.
Mit einem Plus von 51,2 Prozent im zweiten Quartal und 35,7 Prozent im 1. Halbjahr 2020 sind die Waren des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Tierbedarf, Medikamente oder Drogerie am stärksten gewachsen. „E-Commerce hat sich im zweiten Quartal nachhaltig als zusätzliche Versorgungs-Infrastruktur etabliert“, fasst bevh-Hauptgeschäftsführer Christoph Wenk-Fischer zusammen.
Online-Markt ist stark umkämpft
Nicht nur der Wettbewerb zwischen deutschen Onlinehändlern nimmt beständig zu, sondern zudem drängen auch immer mehr Onlinehändler aus Europa und Fernost auf den deutschen Markt (1). Im jährlichen Ranking der Top 100 Onlineshops des EHI Retail Institutes stiegen der britische Modeversender Asos auf Platz 32, der ebenfalls britische Heimelektronikspezialist AO auf Platz 37 und der chinesische Modehersteller Shein auf Platz 47 in 2020. Angeführt wird die Liste durch den Onlinehändler Amazon, der wie überall auch hierzulande die Standards setzt. Die folgenden drei Plätze belegen der Generalist Otto, der Bekleidungs-Händler Zalando und der Onlineshop von Mediamarkt.
Das Anspruchsniveau der Käufer in Bezug auf Lieferzeit, Qualität und Kundenservice liegt sehr hoch und steigt beständig. Deswegen müssen hier Onlineshop-Betreiber extrem innovativ sein, wenn sie weiterhin im Markt bestehen wollen. Die Ware muss natürlich eine ausgezeichnete Qualität besitzen, aber auch die Versandqualität - also die Unversehrtheit der Ware - sollte 1A sein. Mittlerweile wird erwartet, dass die Artikel möglichst innerhalb von 24h beim Kunden ankommen. Zudem möchte der Kunde kontinuierlich über Tracking & Tracing mit klar verständlichen Nachrichten per App, Email oder SMS informiert werden. Natürlich muss auch die Zahlungsabwicklung einfach, sicher, flexibel und vertrauenswürdig sein. Retouren und Kundenservice müssen einfach, freundlich und nahtlos ablaufen. Nur so kommt der Kunde zurück. Das Onlinegeschäft entscheidet sich auch über die Anzahl der wiederkehrenden Kunden (Neuakquise ist extrem teuer) und den durchschnittlichen Bestellwert der Käufer.
Onlineshop-Betreiber müssen schon heute an die Herausforderungen von morgen denken. Die richtige Strategie in Bezug auf Wettbewerb und sich veränderntes Kundenverhalten ist neben der Wahl des passenden Shop- und Warenwirtschaftssystems von großer Bedeutung. Auch bei den Lieferanten sollte man auf vertrauenswürdige und starke Partner setzen.
Same Day Delivery oder Next Day Delivery?
Das große Thema in der Logistik ist die "Innovation auf der letzten Meile". Die Güter müssen möglichst schnell, effizient sowie umweltfreundlich zum Kunden kommen. Hier entsteht natürlich auch die Frage, ob Same Day bzw. Next Day Delivery wirklich notwendig sind. Zumindest für Same Day Delivery gibt Dean Maciuba (2) eine Antwort. Laut des Analysten bei der amerikanischen Logistics Trends & Insights, LLC - Research Analysis News Consulting, wird das Wachstum im Same Day Delivery-Segment durch große Investments und enormes Venturekapital angetrieben. Gestützt auf ein Interview mit einem Investmentbanker kommt er zum Schluss, dass kaum eines der geförderten Start-Ups profitabel ist und dass das Interesse hauptsächlich im Akquisitions-Potenzial dieser Unternehmen liegt. Zudem werden die Kosten für die Belieferung am selben Tag aus der Produktmarge subventioniert, was auf längere Zeit nicht durchzuhalten ist. Bei beiden Belieferungsmodellen ist Amazon der Trendsetter, wobei der Onlinehändler den Vorteil von vielen eigenen Fulfillment-Zentren und Amazon Prime Air besitzt. In jedem Fall versucht Amazon seinen akzeptierten 2-Tages-Belieferungs-Standard durch geleaste Flugzeuge auf Next Day Delivery für das "Prime Free One-Day program" in den USA umzustellen. Eventuell ist für die meisten Online-Händler eine bezahlbare Next Day-Belieferung die bessere Lösung, die sich auf regionale schon etablierte Expressdienste und auf große lokale Einzelhändler stützt. "Generell existieren immer noch viele Unbekannte bei der Herausbildung beider Dienste, wie z. B. die Expansionsgeschwindigkeit, Akzeptanz geringerer Profitmargen, der Einsatz von Lieferrobotern und Packstationen sowie der Einfluss des Trendsetters Amazon", meint Maciuba. Auch Anton Eder von ParcelLab (3) hält die Wettbewerbsvorteile der "Belieferung am selben Tag" für fraglich. Anders sieht das seiner Meinung nach "in puncto Next Day Delivery aus. Hier hat Amazon Standards gesetzt und eine Erwartungshaltung beim Kunden etabliert. Darauf müssen Händler sich beziehungsweise ihre Logistik und das Fulfillment einstellen.
Weitere Lösungen für die teure letzte Meile
Der Handel sucht zudem neue Lösungen für die teure letzte Meile. Zunehmend kristallisieren sich hier die Bestellung im Internet und die Offline-Selbstabholung gegenüber der Home Delivery heraus (4). Als Alternative für die kostenintensive Belieferung der letzten Meile im Onlinehandel können Click & Collect- und Click & Drive-Konzepte dienen. Beim Click & Collect bestellt der Kunde online und kann dann häufig die Filiale und den Zeitraum der Abholung bestimmen. Beim Click & Drive, das besonders in Frankreich im Lebensmittelhandel populär ist, werden die Waren online bestellt und dann per Drive-Through mit dem Auto abgeholt. Während der Kunde im Auto sitzt, werden die Waren in den Kofferraum des Autos geladen.
Welche Branchen bieten 24h-Lieferung an?
Die 24h-Lieferung wird mittlerweile von vielen Onlineshops in den unterschiedlichsten Branchen wie Bekleidung, Sport, Outdoor, Elektronik, Möbel, Spielzeug, Computer, Baumärkte, etc. angeboten. Die Expresslieferung erfolgt meist durch Hermes oder DHL. Bei dieser Lieferoption kann die Bestellung bereits am nächsten Werktag in Empfang genommen werden. Je nach Onlineshop ist für den Service eine Gebühr zu entrichten. Zudem muss man sich an bestimmte Zeiten für den Bestellschluss halten. Bestellt man bis zu einer bestimmten Uhrzeit, so wird die Sendung am nächsten Werktag ausgeliefert. Häufig wird die Option in ländlichen Gebieten nicht angeboten, da die logistische Leistung des Netzwerks nicht ausreichend ist. Die Vorteile der 24h-Lieferung für den Kunden sind in erster Linie die Schnelligkeit und die Möglichkeit der zeitlichen Eingrenzung der Lieferung, was besonders für Berufstätige von Vorteil ist. Nachteilig sind die meist anfallenden Zusatzkosten, die Notwendigkeit des Einhaltens der Bestellzeiten und die begrenzte lokale Verfügbarkeit in ruralen Gebieten. Falls die Zustellung nicht zeitgenau funktioniert, sollte der Käufer die Gebühren vom Händler zurückfordern.
Anforderungen an den Onlinehändler und die Logistik
Für den Online-Händler bedeutet die Belieferung innerhalb eines engen Zeitfensters von 24h, dass der Bestand jederzeit verfügbar sein muss. Zudem müssen die Artikel nahe am jeweiligen Lieferort also meist in Ballungszentren eingelagert werden. Hier ist allerdings der Lagerraum teuer und begrenzt. Meist kann man hier natürlich auf einen Fulfillment-Partner zurückgreifen, was zusätzlich die Kosten hochtreibt und die Margen schmälert. Das gesamte Logistiknetzwerk muss eng zusammenarbeiten, um die Herausforderung von sehr kurzen Lieferzeiten zu bewältigen. Die Bestände müssen ständig kontrolliert werden, Aufträge sorgsam vorbereitet, kleine Ladeeinheiten müssen gehandelt, Platz im Lager akribisch verwaltet und Zugriff immer gewährleistet werden (schnelle Kommissionierung). Hier bietet sich ein Lagerverwaltungssystem (LVS) an. Die Ware muss in die Nähe des Kommissionierers z. B. auf Fachbodenregale mit Gängen oder Mehrgeschossanlagen gebracht werden. Auch die Frage des Automatisierungsgrades des Lagers muss geklärt werden. Hier wird häufig der Warentransport automatisiert (Förderanlagen, Fahrerlose Transportsysteme (FTS)) und beschleunigt. Es existieren aber auch vollautomatisierte E-Commerce-Lager z. B. mit Autostore (AKL mit Robotershuttles). Zudem müssen die häufigen Retouren im Onlinehandel gemanagt werden. Aufgrund der komplexen Logistik steigen die Logistikkosten erheblich. Auch Lieferanten müssen absolut vertrauenswürdig sein und gut in die Supply Chain integriert werden (Vernetzung der IT via API). Das LVS sollte ein Modul zur Vereinheitlichung der Etikettierung besonders bei verschiedenen Lieferanten und Zuweisung von Trackingnummern besitzen.
Literatur:
1 Matthias Hell, Händler aus dem Ausland drängen auf den deutschen E-Commerce-Markt, Oktober 2019, Internet World
2 Maciuba Dean, Same-Day versus Next-Day Delivery, Logistics Trends & Insights, LLC - Research Analysis News Consulting, Apr 10, 2019
3 Anton Eder, Laura Melchior, Händler müssen sich auf Next Day Delivery einstellen, März 2019, Internet World
4 Click & Collect und Click & Drive auf dem Vormarsch, BITO, Link: BITO Fachwissen